Leadership & Karriere Facebook und die Russland-Affäre: Wer bestimmt, was richtig ist?

Facebook und die Russland-Affäre: Wer bestimmt, was richtig ist?

Hysterie und Relativierung

„Das, was wir glauben, was Russland tun kann, hat inzwischen mehr Einfluss als der Einfluss, den russische Aktivitäten tatsächlich haben“, sagt auch Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er ist auf russische Sicherheitspolitik spezialisiert und beschäftigt sich schon seit Jahren mit der Strategie, die der Kreml auf der internationalen Bühne verfolgt. Meister mahnt vor allem, in der Debatte nicht die Balance zu verlieren zwischen dem, was wirklich passiert und einer ungerechtfertigten Hysterie. Diese Balance sei deshalb so wichtig, weil „die Hysterie dazu führt, dass Dinge überschätzt, aber andere Dinge wiederum unterschätzt werden. Nachdem wir nach der Bundestagswahl das Gefühl hatten, es ist ja nichts groß passiert, ist die Debatte schon wieder sehr relativierend“, so Meister.

Denn bei aller Skepsis gegenüber dem tatsächlichen Einfluss auf spezifische Ereignisse wie Wahlausgänge, sei die Sicherheitspolitik Russland durchaus effektiv. Nur wirkt sie subtiler und über längere Zeiträume: „Bei der Diskreditierung von Medien in den sozialen Netzwerken, in bestimmten sozialen Gruppen am rechten und linken Rand. Dort werden Meinungen und Polarisierung verstärkt. Das hat einen Effekt, den wir nicht unterschätzen sollten, da er die Glaubwürdigkeit unserer Politik und Medien systematisch schwächt.“ Und weil Russland das seit Jahren kontinuierlich macht, würden mit der Zeit deren Narrative und Argumentationslinien nach und nach in unsere Diskurse einfließen. Je mehr einzelne Journalisten oder Personen wie zum Beispiel Gerhard Schröder diese Argumente – auch ohne es zu wissen – aufnehmen würden, desto mehr fänden sie Eingang in unsere Mainstream-Diskurse und würden als gegeben angesehen.

Die Situation scheint verfahren, was also tun, ohne zu kapitulieren und demokratische Grundrechte auszuhebeln, indem etwa das große Zensurmesser angesetzt wird? Arun Chaudhary, ganz Amerikaner, hält von Bestrebungen, von staatlicher Seite aus zum Beispiel Facebook zu regulieren, wenig. Er setzt – wiederum ganz amerikanisch-optimistisch – darauf, direkt beim Medienkonsumenten anzusetzen und ihn zu empowern, mit Wissen und Medienbildung. Außerdem gehe es darum, auswärtiger Propaganda einen eigenen, starken Narrativ entgegenzusetzen. „Denn wenn du nicht deine eigene Geschichte erzählst, wird es jemand anderes tun.“ Am Ende scheint es also gar nicht um Wahrheit und den Kampf gegen die Lüge zu gehen, sondern um die Deutungshoheit im eigenen Informationsraum, denn: „Objektivität ist ein Mythos“, so Chaudhary.

Der Konsens über die Wahrheit

Das heißt, im Grunde geht es gar nicht darum, ob Russland nun bei einem spezifischen Ereignis zwei, drei Wähler zu einer bestimmten Entscheidung bringen kann oder kurzfristig gesellschaftliche Gräben erweitert. Am Ende dreht sich in dieser Auseinandersetzung um nichts anderes als die Frage, wer bestimmt, was wahr ist? Arun Chaudhary sagt, es bereite ihm Bauchschmerzen, wenn ein Konzern bestimmen würde, was richtig ist. Und ja, eine staatliche Regulierung könnte dazu führen, dass Konzerne wie Google und Facebook in vorauseilendem Gehorsam Inhalte sperren würden, die eigentlich völlig unbedenklich sind. Solange die Plattform frei ist, gebe es dieses Problem nicht.

Problem: Es gab bis jetzt einen Konsens darüber, dass es eine absolute Wahrheit zwar nicht gibt, man sich jedoch annähern kann, durch Fakten, die Abwägung von Argumenten und die Ausgewogenheit ihrer Auswahl. Im Grunde also, was bisher durch klassischen Journalismus gewährleistet wurde. Durch das Internet ist diese Gatekeeper-Funktion entfallen. Eine unglaubliche Chance zwar, auf eine vollkommene Demokratisierung von Information, eine Art globales Gehirn, auf das jeder Zugriff hat. Doch bedeutet das auch, das letztendlich die unterschiedlichsten Akteure um Deutungshoheit kämpfen. Es gilt also Wege zu finden, um zu gewährleisten, das nicht automatisch derjenige, der sich mit einem erfolgreichen Narrativ durchsetzen kann, zum Bestimmer über Wahrheit und Lüge wird. Russlands Bestrebung ist es offensichtlich, den bereits bestehenden Zweifel an diesem Konsens weiter zu verstärken.

So frei wie möglich

Ja, es ist eine Art Informationskampf. Aber zu sagen, Russland würde eine Art Neo-Cold-War gegen den Westen führen, wäre nicht nur unnötig konfrontativ und gefährlich, sondern auch schlicht zu kurz gedacht. Denn der kalte Krieg ist vorbei, die starren Blöcke Ost und West sind einem flexiblen, globalpolitischen Gemengelage gewichen, in der jeder staatliche wie auch privatwirtschaftliche Akteur seinen eigenen Interessen folgt. Dazu gehört Russland ebenso wie China und Nordkorea, aber auch Europa und Deutschland.

Daher ist es auch immer schwierig, wenn Staaten als Medienregulatoren auftreten. Wie Unternehmen handeln auch sie aus Eigeninteresse, egal ob es im Widerspruch zum globalen, freien Internet steht. So kontraintuitiv es also scheinen mag: Wenn es darum geht, unseren Informationsraum gegen fremde Akteure zu schützen, so scheint die vielversprechendste Strategie zu bleiben, das Internet so frei wie möglich zu lassen – und stattdessen alles darauf zu setzen, kontinuierlich öffentliche Debatten darüber zu führen, welche Informationen vertrauenswürdig sind, und welche nicht. Das funktioniert nur mit einer aufgeklärten, medial gebildeten Gesellschaft.

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